Über Frauenquoten und Frauen*projekte

Liebe Leute,

Im Rahmen des Energieseminars finden sich jedes Semester Studierenden-Gruppen zusammen um gemeinsam selbstorganisierte Projekt zu realisieren. Leider gibt es regelmäßig weniger Plätze als Personen die teilnehmen wollen. In diesem Semester haben wir eines der Projekte ausschließlich für Frauen* geöffnet, in den anderen im Losverfahren eine 50%-Frauenquote angewendet (so es die Anmeldungen erforderten und zuließen). Von einigen Personen haben wir positive Rückmeldungen zu diesem Vorgehen bekommen, andere haben Kritik geäußert. In diesem Brief wollen wir Stellung beziehen und erklären, warum wir uns für eine Frauenquote entschieden haben und auch in den kommenden Semestern daran festhalten werden.

Zum Aufbau: Der vorliegende Brief erläutert zunächst das Anliegen, welches das Energieseminar mit einer Frauenquote verfolgt. Im Anschluss daran setzten wir uns mit einigen Fragen auseinander, die in der Debatte um Frauenförderung immer wieder auftauchen und auch uns in diesem Semester begegnet sind. Unser Brief soll unser Handeln nachvollziehbar machen, Argumente liefern und eine fruchtbare Diskussion anstoßen.
Wir nehmen die Welt und unsere Gegenwart als stark von Geschlechterrollen und -hierarchien geprägt wahr. Zwar hat sich schon einiges geändert (Frauen dürfen beispielsweise in Berlin seit reichlich 100 Jahre regulär studieren), dennoch wirken patriarchale Strukturen bis heute. Bilder, wie Frauen und Männer sind oder zu sein haben, prägen unsere Lebensplanung, unseren Alltag, unsere (Berufs-) Chancen und unsere Wahrnehmung und Einordnung von Personen. Z.B. gibt es noch immer klassische Männer- und Frauenberufe und Frauen verdienen bei gleicher Qualifizierung weniger – gerade auch im technischen Bereich. [Quellen: http://www.bibb.de/de/64016.htm, http://www.igmetall.de/ingenieurgehaelter-metall-und-elektro-243.htm

Wir denken, dass das weder daran liegt, dass es tatsächlich relevante Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, noch dass das Zufall ist. Vielmehr sehen wir die Ursache in gesellschaftlichen Strukturen, die permanent weitergegeben werden, die wir alle ständig (re-)produzieren und stabilisieren. Diese Strukturen haben gewaltförmigen Charakter: Frauen* sind weltweit einer permanenten geschlechtsspezifischen Bedrohung und Gewalt ausgesetzt.  Dem Prozess der permanenten (Re-)produktion dieser Strukturen wollen wir beispielsweise durch eine Frauenquote in unseren Projekten etwas entgegensetzen. Zusätzlich thematisieren wir Strukturen von Privilegien und Diskriminierungen in den Projekten und versuchen einen möglichst diskriminierungsfreien Sprachgebrauch durchzusetzen.

 

Wir wollen gerade an einer Technischen Universität Frauen präsenter machen, mehr Raum geben, ihre Stimmen lauter werden lassen. Weil das häufig Handeln entgegen gewohnter und gesellschaftlich eintrainierter Geschlechtermuster erfordert – und zwar bei Männern wie bei Frauen – ist es in unseren Augen leichter eine möglichst gleichberechtigte Atmosphäre zu schaffen, je mehr Frauen am Projekt beteiligt sind. Darum eine konsequente Frauenquote. Aus den gleichen Gründen finden wir ein reines Frauen*projekt, in dem Empowerment ganz ohne Männer passiert, eine gute Idee. Empowerment bedeutet hier für uns, einen Raum zu schaffen, in dem Frauen sich ausprobieren können, ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen wertschätzen, ihren Urteilen vertrauen und während ihrer Arbeit nicht permanent gegen Geschlechterstereotype kämpfen müssen. Da Frauen und Männer auf ungleiche Weise von solchen Stereotypen betroffen sind, stellt dies für uns keine Diskriminierung von Männern dar (siehe dazu auch die im Anschluss folgenden Argumente). Unser Vorgehen entspricht vielmehr den hochschulpolitischen Zielvorstellungen ( Frauenförderrichtlinien der TU: https://www.tu-berlin.de/fileadmin/i31/Frauenfoerderrichtlinien.pdf).
Dass eine Frauenquote nicht alle Formen der Diskriminierung beseitigen, ist uns bewusst. Wir versuchen möglichen Ausschlüssen z.B. von trans* oder inter* Personen sensibel zu begegnen – sollte uns das nicht gelingen, sind wir für Kritik offen. Auch wissen wir, dass es viele andere Kategorien von Privilegien und Diskriminierung gibt, die wir damit ausklammern. Ein Beispiel dafür stellen Rassismuserfahrungen von Studierenden an Universitäten dar (Mehr dazu: http://akuniwatch.wordpress.com/). Für Anregungen, wie wir intersektional agieren können und dabei den unseres Erachtens an der TU wichtigen Fokus der Geschlechterrollen weiter konkret bearbeiten, sind wir sehr dankbar.

Um unser Anliegen zu veranschaulichen, möchten wir im Anschluss auf einige Behauptungen eingehen, welche in der Debatte um Frauenförderung immer wieder auftauchen. Unseres Erachtens verhindern sie eine Auseinandersetzung mit Diskriminierung. Wir hoffen, dass dies im Folgenden nachvollziehbar wird:

„Eine Quote diskriminiert männliche Studierende.“

Es ist richtig, dass es vor allem männliche Studierende in diesem Semester schwerer hatten, einen Platz im Energieseminar zu bekommen, vor allem da es mehr männliche Bewerber gab. Verstehen wir Diskriminierung als den erschwerten Zugang zu Ressourcen sowie als geringere Chance zur Teilhabe an der Gesellschaft, trifft der Begriff hier nicht zu.

Unsere alltäglichen Erfahrungen führen uns vor Augen, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft bei weitem nicht abgeschlossen ist. Ein Beispiel bieten die Studierendenzahlen an der TU. Gerade in technischen Bereichen und damit zukünftig besser entlohnten Berufsfeldern wie den Ingenieurwissenschaften sind Frauen immer noch in der Minderheit. Zwar hat sich der Frauenanteil in vielen Studiengängen in den letzten Jahren erhöht. Dennoch verdienen Absolventinnen trotz besserer Noten und mehr Engagement im Studium bei Berufseinstieg durchschnittlich 8% weniger als ihre männlichen Kommilitonen. Dies ist nur ein kleines Beispiel und veranschaulicht nicht die Tragweite von Diskriminierung in anderen Lebensbereichen. Wir wollen deshalb Studentinnen direkt fördern und für einen gleichberechtigen Zugang zu unseren Projekten sorgen, daher eine 50/50-Quote. Wie bereits erläutert, birgt jedoch auch diese ihre Tücken und stellt für uns keine Ideallösung dar.  Der Diskriminierung von LGBTI*-Minderheiten oder People of Color können wir damit nicht entgegenwirken und versuchen dies auf anderen Wegen.

 

Mehr dazu:
Zur Definition von Diskriminierung vgl. Rommelspacher:
http://www.birgit-rommelspacher.de/wie_wirkt_diskriminierung.pdf , http://www.tagesschau.de/inland/technischeberufe2.html , http://www.frauenrat.de/deutsch/infopool/nachrichten/informationdetail/browse/26/article/trotz-besserer-leistung-verdienen-frauen-weniger-geld/tf.html

„Wenn es mehr männliche Studierende an der TU gibt, sollte die Quote für Energieseminare daran angepasst werden. 50/50 ist nicht fair.“

An der TU sind in etwa 2/3 der Studierenden männlich, 1/3 weiblich. Wir sehen die Uni jedoch nicht als einen Mikro-Kosmos außerhalb der Gesellschaft. Eine „angepasste“ Quote schafft spezielle Regeln für eine spezielle Institution, welche sich nicht als Teil eines Ganzen betrachtet. Als Energieseminar versuchen wir aktiv, eben diese Grenzen aufzulösen und die Uni als Teil der Gesellschaft zu begreifen und dieser sind ca. 50% der Menschen weiblich. Auch die Studierendenzahlen an der TU, vor allem in den technischen Studiengängen, halten wir nicht für einen Zufall. Wir alle wachsen mit bestimmten Rollenbildern auf, welche uns bestimmte Berufe und Qualifikationen aufgrund unseres Geschlechts für uns passender erscheinen und uns andere verwerfen lassen. Die aktuellen Studierendenzahlen stellen keine neutrale Einheit dar, sondern sind geprägt von Geschlechterstereotypen. Umso wichtiger finden wir es auch, dass Menschen, die sich diesen Bildern widersetzen und  eine „unkonventionelle“ Berufs- oder Studienwahl treffen, wie die Ingenieurin oder der Krankenpfleger, damit positive Erfahrungen machen. Eine Quote, welche mehr männliche Studierende zulässt, würde bedeuten, die von uns kritisierten Machtstrukturen in der Gesellschaft mit zu produzieren, anstatt sie in Frage zu stellen.

Mehr dazu:
Aktuelle Studierendenzahlen der TU: https://www.tu-berlin.de/menue/ueber_die_tu_berlin/zahlen_fakten/
Studienwahl: http://www.studienwahl.de/de/orientieren/frau-im-studium.htm

„Diskriminierung kann man nicht mit Diskriminierung bekämpfen“

 

Dass Frauen an der Uni und in unserer Gesellschaft immer noch häufiger und intensiver Diskriminierung ausgesetzt sind als Männer, wird glücklicherweise nicht mehr allzu oft bestritten. Dennoch werden Quoten oft als diskriminierend begriffen für jene, die sie ausschließen. Quoten sind jedoch nicht dazu da zu diskriminieren, sondern können dazu beitragen, diejenigen zu fördern, welche strukturell benachteiligt werden. Ein Frauen*projekt kann zudem einen sicheren Raum schaffen, in dem eine Studentin z.B. nicht ständig von ihrem männlichen Kommilitonen unterbrochen wird oder erst gar nicht zu Wort kommt. Damit kann sie einen aktiven Part im Projekt übernehmen und eigene Fähigkeiten leichter erkennen.  Auch wenn nicht alle Frauen* Bedarf an einem Frauen*projekt haben und sich unter ihren männlichen Kommilitonen sehr wohl fühlen, trifft dies dennoch auf viele zu. Wir halten das Schaffen solcher sicherer Räume daher immer noch für richtig und notwendig. Für uns bedeutet dies, Diskriminierungserfahrungen anzuerkennen und darauf zu reagieren. Dies kann manchmal bedeuten, dass wir auf etwas verzichten müssen, was uns bisher als ganz selbstverständlich erschienen ist. Nur durch gelebte Solidarität und Verständnis füreinander können wir etwas für eine gerechtere Gesellschaft tun.

„Das Geschlechtergequatsche nervt langsam“

In einer Gesellschaft in der sich niemand mehr über Quoten beschwert, werden wir auch keine mehr benötigen. Bis dahin können wir nicht oft genug über Genderthemen reden.

Herzlich,
die Tutor*innen des Energieseminars

 

* Mit Frauen* meinen wir FrauenLesbenTrans*Inter*Menschen, das bedeutet neben Frauen auch Menschen, welche sich außerhalb der bekannten Geschlechterkategorien “Mann”/”Frau” bewegen. Da die Bezeichnungen FLTI* für manche Personen (außerhalb einer bestimmten Szene) nicht verständlich sind, haben wir uns allerdings für die Schreibweise Frauen* entschieden.